Warum Sonderangebote schlecht für Yoga Sind ~Chris Kiran Aarya
Viele kennen diese speziellen Yoga-Lockangebote in den USA und Europa aus dem Internet, meist von neueröffneten Studios, die besonders durch ihre lächerlich niedrigen Preise auffallen.
“20 Stunden für 20 Dollar – nur heute und nur bis Mitternacht“. Für den Yoga-Liebhaber, der wieder mal knapp bei Kasse ist natürlich absolut verführerisch. Kein Wunder, dass solche Angebote von Tausenden von Städtern in den USA mit Vorliebe genutzt werden.
Maya Georg, die Gründerin von Sani Yoga in Albuquerque und erfolgreiche Studiobesitzerin beklagt, dass nervige Verkäufer dieser Webseiten Studiobesitzer ständig mit ihren aggressiven Verkaufstechniken belästigen, damit diese sich solchen Angeboten ebenfalls unterwerfen – angeblich um besser expandieren zu können und nebenbei noch kostenlos zu werben. Maya räumt jedoch ein, dass es so einfach dann doch nicht sei.
Sogar ich postete Links solcher Anbieter auf meiner Facebookseite, für alle Studios in denen ich Yoga unterrichtete. Je mehr ich jedoch den Effekt dieser Sonderangebote auf Yoga wahrnahm, desto überzeugter wurde ich, dass sie schlecht für Yoga in den USA sind. Hier eine Erklärung warum das so ist:
Punkt 1: Die Energie im Yogastudio verändert sich
Das Problem beginnt schon vor dem eigentlichen Kursbeginn. Plötzlich steht draußen eine Schlange Menschen an, die dem Angebot gefolgt sind. Die muss man erst einmal alle einchecken und einweisen. (Oftmals kenne diese Neulinge die Studioetikette nicht und laufen mit Schuhen durch das Studio). Das bedeutet, dass man den Kurs entweder später beginnen kann oder Menschen zu spät eintreffen und den Kursbeginn stetig stören.
Yoga in den Nachwehen einer Angebotsaktion zu unterrichten, erinnert an eine Büffelinvasion, die das Flair und die Dynamik verändern, die man Monate oder Jahre mit viel Mühe mit seinen eigentlichen Teilnehmern aufgebaut hat.
Haben wir das nicht alle schon erlebt? Wie oft strömen neue Teilnehmer en masse in die Studios, die absolut nicht mit grundlegender Yoga-Etikette vertraut sind und für die man extra Zeit und Energie investieren muss, ihnen genau dies zu vermitteln. Als Yogalehrer verbringt man dadurch logischerweise viel mehr Zeit mit Grundlagen-stunden – was an sich nicht schlecht ist. Leider bekommen weiter fortgeschrittene Teilnehmer so das Gefühl, sich eher rückwärts zu entwickeln, statt vorwärts. Grundlegend ändert sich durch all diese Faktoren die komplette Beziehung zwischen dem Studio und seinen Teilnehmern, und das leider meistens zum Negativen.
Abläufe und Sequenzen, die man entwickelt hat und die helfen, dass Lehrer und Gruppe zusammenwachsen, werden nun für die Neuankömmlinge wieder aufgeweicht. Das verwirrt die treuen Yoga-Teilnehmer nicht nur, sondern macht sie extrem unzufrieden. Als Konsequenz muss man damit rechnen, dass genau diese Stammkunden verständlicherweise ankündigen werden, nicht mehr zu kommen, bis die „Herden“ wieder verschwunden sind.
Um genau das zu vermeiden, könnte man extra Anfängerkurse für neue Teilnehmer anbieten, um sich dort eingehend mit den Neuankömmlingen zu beschäftigen. Leider bieten nur wenige Studios diese Option an und füllen stattdessen lieber bereits existierende Kurse auf, um dort die Energie aufzufrischen – leider zu oft mit gegenteiligem Effekt.
Punkt 2: Ein zerstörerischer Effekt für die Yogagemeinschaft
Die Angebotsherden, die aufgrund des Sonderangebots nahezu nichts bezahlen, werden von Stammkunden nicht unbemerkt bleiben, die 10er-Karten erworben haben oder seit Jahren monatlich Geld abbuchen lassen. Auch viele von jenen haben ein enges Budget, trotzdem haben sie sich jedoch dafür entschieden, ihre Yogagemeinschaft zu unterstützen.
Wie sollen sie sich diese treuen Kursteilnehmer denn auch fühlen, wenn sie realisieren, dass ihr Lieblingsstudio fremden Teilnehmern die gleichen Kurse zu 90% Rabatt anbietet, wohingegen sie 100% zahlen? Darüberhinaus müssen sie mit ansehen, wie jene Neuankömmlinge die ganze Atmosphäre ruinieren und die ihre geliebte Yogaroutine noch dazu. Auf diese Art beginnt das Studio, die mühsam erworbenen Kunden zu entfremden, die eigentlich einmal dabei geholfen haben, die Studiokultur zu erschaffen. Kann man das noch als fair bezeichnen? Also anstatt mehr Kunden durch diese Aktionen zu gewinnen, verlieren Studios durch solche Lockangebote ihre Stammkundschaft und somit ihre finanzielle Basis.
Punkt 3: Es ist nicht effektiv um eine neue Teilnehmerbasis zu erschaffen
Einige Studios entscheiden sich dennoch für Sonderangebote, um neue Teilnehmer zu akquirieren. Nichtsdestotrotz hat sich diese Methode schlussendlich nicht bewährt um Teilnehmer anzuziehen und die Bestehenden zu halten, welche ja die eigentliche Gemeinschaft und Studiobasis ausmachen.
Abhängig davon wie allgegenwärtig solche Angebote in einer bestimmten Stadt sind, ist es für einen Einsteiger tatsächlich möglich, verschiedene davon über das gesamte Jahr hinweg so zu nutzen, dass sie tatsächlich nur ca.1 Dollar pro Deal investieren müssen. Ich selbst kenne einige Menschen, die es genauso machen und nur so! Es gibt bestimmte Experten, die immer nur die billigste Option wählen und von Studio zu Studio hüpfen, je nachdem wo das günstigste Angebot zu finden ist und sich dabei überhaupt nicht für die Qualität interessieren. Ein Studio ist sicher in der Lage, ein paar dieser Springer für sich gewinnen zu können, das wären aber nur etwa 5% und diese hätte man mit viel weniger Kosten und Aufwand akquirieren können. Die anderen 95% sind nur auf der Suche nach dem nächstbesseren Yoga-Billig-Angebot.
Davon auszugehen, dass es sich wirklich lohnt Sonderangebote anzubieten, wäre nur dann gegeben, wenn man das einzige Studio in der Stadt wäre, welches sich dafür entscheidet. Wir wissen jedoch, dass dies nicht so ist. Sobald ein Studio damit beginnt, Sonderangebote zu bewerben, werden die anderen auf dem Fuße folgen. Folglich versucht nun jedes einzelne, die Herde an Neulingen, für 1-2 Dollar pro Yogastunde für sich zu gewinnen.
Fazit ist, anstatt eine neue Teilnehmergemeinschaft zu kreieren, initiiert man ein lokales Wettrennen, dass am Ende die ganze örtliche Yogagemeinde dahingehend verändert, dass sie nicht miteinander sondern ausschließlich gegeneinander arbeitet.
Punkt 4: Es ist die reine Gefahr für das Überleben eines Studios!
Offen gesagt, wenn man sich als Studioleiter auf Sonderangebotsseiten verlässt, kann es für das Überleben des Studios eine direkte Gefahr bedeuten. Dabei ist es gleichgültig ob man selbst ein Studio leitet oder eines als Teilnehmer unterstützt. Einigen Aspekten muss man sich voll bewusst werden!
Wenn also ein Studio ein Angebot von 20 Stunden für 20 Dollar anbietet und davon, sagen wir, 1000 verkauft – wären das 20.000 Dollar brutto. Leider geht davon die Hälfte (oder mehr) an besagte Angebotsseiten. Für das Studio ergibt sich somit folgender Haken: Es muss Stunden im Wert von 200.000 Dollar ableisten, nimmt aber nur etwa 10.000 Dollar ein. Die Realität sieht dann so aus, dass sie überhaupt nicht mehr in der Lage ist die Raummieten und Reinigungskosten zu bezahlen, ganz zu schweigen von den Yogalehrern, die für sie arbeiten. Das Studio steckt von vornherein nur finanzielle Schläge ein.
Man könnte eventuell daraus schlussfolgern, dass die Einnahmen des bereits bestehenden Teilnehmerkreises ausreichend wären, um durch die Wellen der Angebotsneuankömmlinge hindurchzuschippern. Aber eben nur eventuell!
Was jetzt passiert ist Folgendes: Zuerst werden die Stammkunden fragen, ob sie das Angebot ebenso nutzen können. Dieser Wunsch bringt das Studio in eine Zwickmühle. Soll man ablehnen und sagen, sie müssen den vollen Preis weiterbezahlen oder gewährt man ihnen den Wunsch und kürzt sich dadurch seine eigenen Einnahmen?
Ein weiteres Problem ergibt sich aus der neuen (unfairen) Atmosphäre, die nun im Studio herrscht. Sie wird einige Stammkunden dazu zwingen, sich anderweitig einen Yogatrainingsort zu suchen, wo sie ganz in Ruhe üben können. Selbst wenn sie von ihren eigentlichen Yogalehrern überzeugt sind und deren Unterricht lieben, wird genau das eintreten.
Fazit: mehr Einnahmenverlust, eine wesentlich kleinere Yogagemeinschaft und eine wettbewerbsaggressivere lokale Yogaszene. Was meinen Standpunkt betrifft, sind das alles Gründe, warum wir erst so viele Studios aus dem Boden schießen sehen, die dann aber sofort wieder schließen. Und das betrifft besonders jene, die sich allein auf Angebotsseiten verlassen um neue Teilnehmer zu ergattern.
Was aber eigentlich noch viel schlimmer ist, ist die Tatsache, dass es wirklich Menschen gibt, die denken, dass Yoga wirklich nur 1 Dollar wert ist. Somit setzen sie jeden einzelnen Aspekt herab – den des Übens, der Mühe und des Aufwandes des Lehrers, unserer Yogafamilie und den heiligen Orten, an denen wir das Geschenk YOGA teilen.
Was kann man letzten Endes dagegen tun?
Es gibt tatsächlich Wege, die weniger energieraubend dafür aber effektiver sind, um die Gemeinschaft zu vergrößern. Aber wie es in der Natur von Yoga selbst auch liegt, benötigt man dafür Geduld und beharrliche Praxis.
Denk einfach mal an die größte und am längsten bestehende Yogagemeinschaft in deiner Stadt. Ich wette, dass du dort noch nie Sonderangebote gesehen hast, um neue Kunden zu locken?! Diese Gemeinschaft hat mal klein begonnen, ist authentisch geblieben und hat sich nach und nach mithilfe ihrer Teilnehmer eine kleine Gemeinschaft kreiert, die sich darauf konzentriert, den Bedürfnissen der Stammkunden nachzukommen.
Ein erstklassiges Beispiel, was mir in den Sinn kommt, ist Vital Yoga in Denver, Colorado. Vor 14 Jahren eröffnete Micah Springer das Studio auf wenigen 30m² und schon nach kurzer Zeit nahm sie ihre Schwester Desi mit an Bord. Die Geschwister investierten jede Menge Zeit, um ihre eigene authentische Gemeinschaft zu entwickeln. Heute symbolisiert es DAS expandierende und lebendige Yogastudio schlechthin, mit einem Angebot von 50 Stunden pro Woche in Räumen, die Platz für bis zu 100 Teilnehmer schaffen.
Eine sehr simple und schnell umsetzbare Idee, um neue Kunden zu gewinnen, ist die „Bringe- einen-Freund-umsonst“ Variante. Stammkunden dürfen eine Freundin oder einen Freund einladen, die oder der dann eine Stunde Yoga schnuppern darf. Diese Variante ist nicht nur weniger nervenaufreibend sondern auch viel sparsamer und statt die Gemeinschaft zu schwächen, wird sie enorm gestärkt. Darüberhinaus ist die Chance diese Kunden zu halten dahingehend größer, da sie schon eine persönliche Bindung mitbringen, ihre beste Freundin oder Freund!
Es gibt noch eine weitere Idee, die Yogalehrer und Therapeut Sean Downes kreiert hat. Er schlägt vor, die Studios miteinander zu verbinden und eine Art Karte anzubieten, mit der Teilnehmer Kurse an verschiedenen Studios testen können – sagen wir, ein bis zwei Kurse pro Studio bei ca. vier bis fünf Studios – eine Art Yoga-Schnupper-Karte. Solche Aktionen würden nicht nur kooperative Verbindungen der örtlichen Yoga-Kommune hervorbringen, sondern den Teilnehmern die Möglichkeit geben, verschiedene Kurse an verschiedenen Orten zu testen, anstatt eine Multi-Kurs-Karte für nur ein Studio zu erwerben.
Aber letzten Endes geht es doch darum qualitative hochwertige Kurse von kompetenten und leidenschaftlichen Lehrern anzubieten und die Gemeinschaft stetig zu erneuern und zu stärken.
Als Teilnehmer hat man tatsächlich den größten Einfluss darauf! Warum? Du bist selbst die Gemeinschaft. Wenn man sich von seinem Yogalehrer gut betreut fühlt, ist es dann nicht fair, ihm Wertschätzung für die vielen Stunden und das investierte Geld, die er gegeben hat, nur um dich zu unterrichten, zukommen zu lassen? Ganz zu schweigen von seiner Liebe und Fürsorge, die er aufbringt, um diese Stunden zu kreieren, die du genießen darfst? Willst du, dass sich die Türen zu deiner Oase schließen, die es dir jedesmal ermöglicht, dort Kraft und Ruhe zu tanken?
Ich weiß schon gar nicht mehr wie viele Menschen ich sah, die für 5 Dollar einen geeisten Espresso tranken und dabei in einem 8-Dollar-Hochglanzmagazin lasen, dabei mit ihrem IPhone herumtexteten, und zugaben, dass sie liebend gern mehr Yoga machen würden, es aber einfach zu teuer sei. Ich frage mich, geht es bei diesen Menschen um die Geldmittel oder die Wahl, die sie haben?
Täglich entscheiden wir, worauf wir unsere Energie ausrichten und wofür wir Geld ausgeben. Das formt sowohl unser eigenes individuelles Leben, als auch die Welt um uns herum. Dabei geht es gar nicht nur um Yogastudios, sondern auch um die Bäckerei an der Ecke oder den gemütlichen Buchladen, den du nun vermisst, weil er neulich schließen musste.
Anstatt also dem neuesten Onlineangebot zu folgen, lohnt es sich vielleicht mal zu prüfen, worin man Geld, Zeit und Energie investiert. Warum geht man nicht in sein Lieblingsstudio und engagiert sich nicht nur im Yogatraining sondern auch für die Lehrer und die Gemeinschaft? Es ist ein großartiger Weg sicherzustellen, dass die Lehrer und Studios, die man liebt, auch auf seinem eigenen gesamten Weg erhalten bleiben!
English version here.